Gaudeamus igitur! Studentin reloaded

Ich bin wieder mit einer Studentin zusammen. Darüber sind sie und ich sehr glücklich. Und das Schönste: Dazu musste ich nicht einmal die Frau wechseln!

Meine Partnerin Stella macht ihr Studium zu Ende. Und das mit 52 Jahren.

Doch der Reihe nach. Jahrelang hatte sie immer wieder geklagt, dass sie doch eigentlich ihr Studium damals hätte zu Ende führen sollen. Sie hatte vor dreißig Jahren in Göttingen studiert, Geschichte und Musikwissenschaft, und dann war die Idee mit dem Beruf dazwischen gekommen. Und sie hatte sich durch das lukrative Stellenangebot in einem privaten Archiv verführen lassen: „Entweder Du fängst sofort an, oder ich muss jemand anderen nehmen.“ Infolgedessen hat sie ihr Studium an den Nagel gehängt und den Job angenommen. Nach vier Semestern, nach der Zwischenprüfung, alle bis dahin geforderten Scheine in der Tasche.

Sie war zufrieden mit ihrer Arbeit. Abwechslungsreiche Tätigkeit im weiten Feld der historischen Aufarbeitung einer Institution, interessante Begegnungen eingeschlossen. Sie konnte sich weiterentwickeln, und sie hat nie über Lustlosigkeit oder Berufsverdrossenheit geklagt.

Und nun, nach Jahrzehnten, in denen sie manches Mal eine stille Unzufriedenheit über den Nicht-Abschluss kultivierte, schritt sie zur Tat. Endlich fasste sie den Mut, sich schlau zu machen. Erkundigte sich erst mit großem Anlauf vorsichtig in Göttingen – völlig unerwartetes Ergebnis: alle Semester und alle Scheine werden anerkannt, so könnte sie in gut einem Jahr ihren Abschluss, ihre Bachelor-Arbeit angehen! Nun liegt allerdings Göttingen ja nicht direkt vor den Toren von Hamburg, wo sie heute lebt und arbeitet. Und die Arbeit fürs Studium sausen zu lassen, kann und will sie sich nicht leisten.

Also war der nächste mutige Schritt, nicht mehr ganz so schwierig, weil nicht mehr völlig unbekanntes Neuland zu betreten war: Die gleiche Anfrage an der Uni Hamburg starten. Und siehe da – gleiche Situation, gleiche Antwort. Alle ihre Zeiten werden anerkannt, ihre Unterlagen ebenfalls, sie kann auch hier ihr Studium abschließen! Allerdings muss sie sich um einen Studienplatz bewerden wegen des Numerus Clausus. Und die Semester, die seit ihrem „ersten“ Studium verstrichen sind, können ihr natürlich nicht alle als Wartezeit angerechnet werden, meint der Studienberater ernst. Und das sei kein Scherz, sonst hätte sie ja traumhafte Voraussetzungen.

Speaker giving presentation in lecture hall at university. Students listening to lecture and making notes.

Schließlich, in einem weiteren Anfall von Tapferkeit, schreitet Stella mit ihren 52 Jahren in die ehrwürdigen Gemäuer der Universität, bewirbt sich wie eine unerfahrene Abiturientin um einen Studienplatz – und erhält drei Wochen später einen Brief. Mit Herzklopfen trägt sie den mindestens dreimal durch die Wohnung, ehe sie ihn zu öffnen wagt. Es ist tatsächlich der Bescheid. Sie wird angenommen! So glücklich habe ich sie seit Jahren nicht mehr erlebt.

Ich muss gestehen, anderntags bin ich heimlich und ein bisschen verklemmt erst um und schließlich in die Mensa geschlichen, weil ich wieder einmal diese ganz besondere Luft atmen wollte. Auch wenn das nur ein nostalgischer Aspekt dieser ganzen Studiums-Sache ist. Die Studenten von heute wunderten sich bestimmt über den alten Spanner da im Eck.

Ich bewundere Stellas Mut. Was auch immer daraus entstehen mag – sie hat an der Neige ihrer Wechseljahre ein Lebensziel angepackt, von dem sie nicht einmal sicher gewesen war, dass es für sie (noch) existiert. Einmal entschieden, geht sie die Umsetzung mit Engagement und mit Power an.

Und ich bewundere diese Konsequenz. Ich habe meiner Studentin 2.0, wie ich sie gleich getauft habe, versichert, dass ich willens bin, ihr zu helfen, wo ich nur kann. Und das meine ich ganz ernst. Wobei diese Hilfe hauptsächlich auf einen moralischen Support hinauslaufen wird, auf mentale Unterstützung. Die wird sie auch brauchen. Denn von dem Fachgebiet habe ich herzlich wenig Ahnung. Und bevor ich mich da per Internet einlese, hängt sie mich meilenweit ab.

O alte Studentenherrlichkeit. Ich bin glücklich, dass ich mit einer Studentin zusammen bin. Und dieses Gefühl wird mich nicht nur die nächsten beiden Jahre begleiten.

In diesem Sinne – verwirklichen Sie Ihre lang gehegten Träume! Es ist nicht zu spät.

Herzlich,
Ihr Jörg

Jörg

Jörg erzählt mit seinem eigenem Humor und viel Esprit über sein Leben mit seiner Frau Stella und den Wechseljahren.

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